Anita Gerhardter im Interview: „Der Lauf hat eine ganz eigene Magie!“
Der Wings for Life World Run 2021 ist allen, die dabei waren, noch immer in lebhafter Erinnerung. Nicht nur wegen der vielen Rekorde, die am 9. Mai 2021 rund um den Globus gebrochen wurden, es ist vor allem das Gefühl und die anhaltende Gänsehaut, die das Event für jeden einzelnen so besonders machen. Der Wings for Life World Run, so kann man es wahrscheinlich am besten sagen, wirkt nach – auch bei Anita Gerhardter. Im Interview spricht die Geschäftsführerin der Wings for Life Stiftung über große Ziele, Hoffnung und einen ganz besonderen persönlichen Moment.
Von Henner Thies
Anita, welche Gefühle lösen die Erinnerungen an den Wings for Life World Run 2021 noch heute bei dir aus?
Wir arbeiten das ganze Jahr auf diesen einen wichtigen Tag hin. Dann zu sehen, dass uns trotz aller Einschränkungen so viele Menschen unterstützt haben und teilgenommen haben, macht mich noch heute zutiefst glücklich und dankbar. Dieser Support war in der Form wirklich nicht zu erwarten.
„Für 2022 wünsche ich mir viele lachende Gesichter, die den Gegebenheiten trotzen, und weltweit Hoffnung verbreiten.“
– Anita Gerhardter
Anita Gerhardter und Colin Jackson präsentieren die Spendensumme 2021.
Was war dein persönlicher Highlight-Moment beim App Run 2021?
Eines herauszufiltern ist bei so vielen Highlights, die man an diesem Tag erlebt, fast unmöglich. Wenn ich mich aber für einen Moment entscheiden muss, denke ich an den Gänsehaut-Moment, den ich hatte, als mir die Race Control die weltweite Teilnehmerzahl durchgegeben hat. Unvergesslich. Man muss verstehen: Der Wings for Life World Run ist die wichtigste Einnahmequelle für unseren Forschungs-Fördertopf. Wenn du hörst, dass an nur einem Tag weltweit 184.236 Teilnehmer für die gute Sache laufen und Millionen an Spenden sammeln, macht das einfach nur überglücklich. Am Ende waren es 4,1 Millionen Euro Spendengelder, so viel wie noch nie. Dafür an dieser Stelle noch einmal an alle, die dazu beigetragen haben: Danke!
Mit dem Rekordjahr 2021 im Rücken: Was erwartest du vom Wings for Life World Run 2022?
Ich wünsche mir, dass wir weiterwachsen. Unser großes Ziel ist es, bis 2025 eine Million Teilnehmer:innen auf die Straße zu bringen. Mit diesem Ziel im Hinterkopf erhoffe ich mir für 2022 einen weiteren großen Schritt in diese Richtung. Je mehr Menschen am Wings for Life World Run teilnehmen, desto größer der Fortschritt in der Rückenmarksforschung.
Wie schafft man es, auf das Rekordjahr 2021 noch einen drauf zu setzen?
Im besten Fall verselbstständigt sich unsere Bewegung mehr und mehr. Wir haben 2021 gesehen, wie es aussehen kann, wenn Menschen überall auf der Welt unabhängig voneinander mit der App gemeinsam für ein und dasselbe Ziel laufen. Wenn alle, die im letzten Jahr gelaufen sind, 2022 ein weiteres Familienmitglied, oder einen Freund zum Mitmachen motivieren, passiert genau das. Darauf hoffe ich.
„Die Flagship Runs haben eine ganz eigene Magie.“
– Anita Gerhardter
Anita Gerhardter und Colin Jackson 2018 in der Global Race Control.
Was bedeuten dir die Rückkehr der Flagship Runs – warum sind sie wichtig für den Spirit des globalen Charity-Events?
Es gibt viele, die es lieben, das Gefühl und die Energie, die an diesem Tag herrschen, zu teilen – und zwar vor Ort mit Gleichgesinnten. Die Flagship Runs, sofern die Pandemie es zulässt, ermöglichen das. Dabei haben sie eine ganz eigene Magie. Die Leute sind dort so achtsam miteinander. Das ist schon einzigartig. Ich sage immer: Da liegt Liebe in der Luft – eine grundpositive Stimmung, die wirklich ansteckend ist.
Aber: So wichtig die Flagship Runs für den Spirit und das Überschwappen der Magie dieses Events sind, zum Beispiel über die beeindruckenden Fernsehbilder, die wir aus den letzten Jahren kennen – unterm Strich zählt vor allem eins: Das Laufen für die gute Sache! Wer wo mit wem und wie lange läuft, ist im Grunde nebensächlich. Ob beim App Lauf oder beim Flagship Run, beim Wings for Life World Run fließen 100% der Einnahmen direkt in die Forschung.
Stichwort Forschung: Wie ist der aktuelle Stand bei den von Wings for Life geförderten Projekten?
Als wir 2004 angetreten sind, um Querschnittslähmung heilbar zu machen, gab es ausschließlich Forschungsprojekte im Grundlagenbereich und in der Präklinik. Es gab kein klinisches Projekt, bei dem schon Medikamente am Patienten erfolgreich angewandt wurden. Wings for Life hat mitgeholfen, bis heute sechs klinische Patientenstudien zu realisieren. Das allein ist ein großer Erfolg.
Wings for Life Gründer Heinz Kinigadner und Anita Gerhardter im Gespräch mit Wissenschaftlern.
Welches Forschungsprojekt ist dir besonders in Erinnerung geblieben?
Ein Forschungsprojekt, was ich nun einmal exemplarisch herausgreifen möchte, ist ein Projekt für Frischverletzte unter Leitung von Professor Marios Papadopoulos in London. Er hat eine Methode angewandt, mit der man den Druck im Rückenmark messen kann. Zur Erklärung: Das Gehirn und das Rückenmark bilden das Zentrale Nervensystem, das ZNS. Wenn Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma ins Krankenhaus eingeliefert werden, kann der Druck im Gehirn gemessen werden. Wenn der zu hoch ist, wird entlastet, damit nicht noch mehr Zellen absterben. Im Rückenmark hat das bisher aber niemand genau untersucht!
Professor Marios Papadopoulos hat damit begonnen. Er platziert Minisonden auf dem Rückenmark, um dort, wie im Gehirn üblich, Druckverhältnisse zu messen. Dabei ist er darauf gekommen, dass es bei zu hohem Druck oftmals nicht ausreicht, nur Teile der Wirbelkörper zu entfernen. Mann muss auch die harte Hirnhaut, die Dura mater, einschneiden, damit dem anschwellenden Gewebe Raum zur Ausdehnung gegeben wird. So wird verhindert, dass das Rückenmark noch weiter beschädigt wird. Die Pilot-Studie dazu in London ist erfolgreich gelaufen, sodass das Verfahren nun in ganz Europa zur Erstversorgung von frisch verletzten Patienten getestet werden soll. Damit könnte von Beginn an dafür gesorgt werden, das Ausmaß der jeweiligen Verletzung in den wichtigen ersten Stunden direkt und nachhaltig zu begrenzen.
„Je mehr Menschen am Wings for Life World Run teilnehmen, desto größer der Fortschritt in der Rückenmarksforschung.“
– Anita Gerhardter
Was ist dein persönliches Ziel für den Lauf 2022?
Mein Ziel ist es, noch konsequenter und regelmäßiger Sport zu treiben, in der Hoffnung, dass sich das auf meine Laufleistung beim Wings for Life World Run überträgt. Mit konkreten Zielen bin ich vorsichtig und stapele lieber tiefer, um dann überzuperformen (lacht). Ich sage mal so: Ich bin keine Läuferin, aber 10 km würde ich 2022 gerne schaffen.
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